10. Dezember – Der alte Wald (Advenzia)

10. Dezember

Der Alte Wald”

Am nächsten Morgen nach dem Frühstück sagte ich ‚auf Wiedersehen zu meiner Gastgeberin, welche mir als Abschiedsgeschenk etwas Proviant mitgab. Anschließend ging ich zu ihrem Mann, welcher bereits neben dem Hundeschlitten stand, und auf mich wartete. Er hatte mir angeboten mich auf der Kreuzung von gestern abzusetzen, da er sowieso vorhätte einige Besorgungen in der Stadt zu erledigen – und ich hatte das Angebot dankend angenommen.

Während der Fahrt richtete ich noch einmal das Wort an ihn und erkundigte mich nach den sonderbaren Wesen im Wald, von welchen seine Frau am gestrigen Nachmittag gesprochen hatte.

Frag lieber nicht“, rief er mir über die Schulter zu. „Glaub mir, du willst es nicht genauer wissen. Merke dir nur eines: Wann immer du in die Bedrängnis kommen solltest einem solchen Wesen zu begegnen: Suche das Licht! Das Dunkelvolk wird dann einen großen Bogen um dich machen.“

Und nach einer kurzen Pause ergänzt er: „Du weißt doch, wie man ein Feuer macht, oder?“

Als wir wenige Minuten später an besagter Kreuzung anhielten, stieg ich ab und lud mein Gepäck vom Schlitten. Zum Abschied richtete mein Gastgeber noch einmal das Wort an mich und sprach:

Raste wenn möglich immer auf einer Lichtung. Obschon der Wind dort stärker weht und du nicht im Schutze der Bäume weilst. Doch dort bist und bleibst du in diesem Teil des Waldes am Sichersten.“

Dann nickte er mir zum Abschied zu, gab dann seinen Hunden ein Signal und brauste im nächsten Moment schon entlang des Waldrandes in westliche Richtung davon.

Bereits nach kurzer Zeit wurde mir klar, dass dieser Wald anders war als alle anderen Wälder, durch die ich je zuvor gestreift bin. Er war nicht nur älter und dichter, auch die Bäume hatten eine andere Erscheinung und wirkten auf mich auf unbeschreibliche Weise überaus erhaben und majestetisch. Je tiefer ich in den Wald vordrang, und je weiter ich die große Straße hinter mir ließ, desto stärker und greifbarer wurde dieses Gefühl. Bereits nach kurzer Zeit machte ich unter einer dicken Buche halt, und setzte mich an ihrem Fuße in den Schnee. An den Stamm gelehnt schloss ich die Augen, und genoss die außerordentliche Stille in diesem sonderbaren Ort. Ein eigenartiger Frieden erfüllte mich, und nach einiger Zeit war mir, als könnte ich noch lange hier sitzen bleiben. Selbst die Kälte machte mir seltsamer Weise hier weniger aus als in den Tagen zuvor.

Als ich mich dann schließlich doch nach einer Weile erhob, um meine Beine auszustrecken, und durch Bewegung zu erwärmen, war mir eine Erkenntnis tief zur Gewissheit geworden:

Dieser Wald lebte.

Als ich am Nachmittag mein Lager auf einer Lichtung aufschlug, wie mein Gastgeber es mir empfohlen hatte, schwelgte ich beim Bau meiner Behelfsunterkunft noch lange in Gedanken an den heutigen Tag. Trotz des Schnees schien es hier auf eigenartige Weise merklich wärmer zu sein, und auch der Wind schien nicht so schneidend. Die Luft war hier besonders klar, und an manchen Orten schien die Atmosphäre auf eine geheimnisvolle, aber äußerst angenehme Art zu knistern. Ganz so, dass es mir eine Gänsehaut bereitete. Mir kamen Gedanken von Kraftorten und Dolmen in den Sinn. Mir war, als ob der Wald mich beschützen würde. In tiefer Dankbarkeit schlief ich an diesem Abend an meinem Feuer ein. Ich fühlte mich umsorgt und behütet, in Frieden mit allem was mich umgab.

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