23. Dezember – Heimweg (Advenzia)

23. Dezember

Heimweg

Gleich nach dem Frühstück machten wir uns auf den Heimweg. Ich verabschiedete mich von der gesamten Familie, und bedankte mich vielmals für die Gastfreundschaft, und dafür, dass sie mich aus dem Eis gerettet hatten. Um meinen Dank Ausdruck zu verleihen, hatte ich nicht nur den kompletten vorigen Tag in Haus und Garten gearbeitet, sondern schenkte der Familie zudem die Schneeschuhe, die Woll-Gamaschen und den weißen Poncho aus Fell, welchen ich von Albrun für meine Medizinwanderung bekommen hatte. Nicht, dass dies jemand von mir erwartet hätte. Und doch hegte ich den tiefen Wunsch diesen Menschen etwas zurück zu geben. Außerdem, so dachte ich mir, sollte das, was aus dem Wald kam, auch in diesem bleiben. Ich wusste zwar nicht warum, aber tief in meinem Innersten wusste ich, dass es richtig so war.

Gleich nach dem Frühstück packte ich meine Sachen zusammen. Danach führte Atilla mich zur Lichtung, welche eine kurze Wegstrecke hinter dem Haus, etwas versteckt im Wald lag. Dort, so sagte er, lebten die Chimori. Noch wollte er mir nicht verraten, worum es sich dabei handelte, und so blieb ich neugierig. Seine Tochter Diana begleitete uns. Die beiden Söhne hingegen, wurden von ihrer Mutter zum Küchendienst verurteilt, und durften uns demnach nicht beiwohnen. Wir verließen das Haus und schlugen einen verschneiten Pfad in westlicher Richtung ein. Nach etwa fünf Minuten erreichten wir die besagte Lichtung. Als wir näher kamen, stockte mir der Atem. Was ich sah, war keine optische Täuschung, sondern schien tatsächlich wahr zu sein … Vor uns auf einer großen Lichtung im Wald grasten doch wirklich drei geflügelte Pferde! Der Alte und seine Tochter schienen meine Reaktion beobachtet zu haben, und lachten beide auf.

Das sind unsere Chimori. Manche nennen sie auch Abraxaner, oder Pegasus. Sind sie nicht wunderschön? Mit ihrer Hilfe legen wir weite Strecken in kurzer Zeit zurück, und Vater wird dich mit ihrer Hilfe auch zurück nach Advenzia bringen, erklärte Diana mir. Danach bedeutete sie mir näher heran zu gehen. Wir näherten uns den Tieren und bleiben vor einem besonders schönen, gold schimmernden Palomino-Hengst stehen.

Das ist Febarak“ sprach sie zu mir. „Sein Name bedeutet ‚Der Geflügelte‘. Lass ihn an deiner Hand schnuppern, damit er sich an dich gewöhnen kann.

Ich tat wie mir befohlen, und trat näher. Das Tier war größer als normale Pferde, und hatte ausladende, befiederte Schwingen an beiden Seiten des Rückens. Neugierig beschnupperte es meine Hand, sah mich kurz an, und wandte sich dann erwartungsvoll Atilla zu, ganz als würde es etwas erwarten.

Ach ja, fast vergessen“, sprach der Alte zu sich selber, griff in seine Umhängetasche und zog ein paar mit Erdklumpen versehene Karotten hervor, welche er dem Hengst hin hielt. Dieser verspeiste sie sogleich. Hier, gib ihm auch ein paar“, sprach er, und drückte mir ein weiteres Bund aus seiner Tasche in die Hand.

Nach etwa einer halben Stunde meinte Atilla, dass Febarak sich nun an mich gewöhnt habe. Wir sattelten den Chimori mit einem speziellen Doppelsitz, an welchem zusätzlich Hüft- und Beingurte befestigt waren. Diana erklärte mir, dass diese zur Sicherheit dort angebracht seien, damit man während des Fluges nicht den Halt verliere und abfalle.

Als alles fertig war, halfen die beiden mir aufsteigen, und zurrten meine Gurte fest. Dann schwang Atilla sich geübt auf den Hengst, und ich verabschiedete mich von Diana. Zugegeben, mir war sehr mulmig zumute. Ich hielt mich an einem speziell angebrachten Griff vor mir fest, und mit einem Schnalzen seiner Zunge gab Atilla dem Chimori den Befehl zu starten. Mit einem Ruck setzte dieser sich in Bewegung. Donnernd schlugen die Hufe auf die verschneite Wiese unter uns. Panisch krallte ich mich in den ledernen Griff vor mir und zog meine Beine fester um den Bauch des Pferdes. Die Flügel rechts und links neben mir schlugen mit ungeheurer Kraft auf und ab, und schon im nächsten Moment hoben wir vom Boden ab. Das nachfolgende Gefühl ist kaum in Worte zu fassen. Es war eine Mischung aus Furcht und völliger Hilflosigkeit auf der einen Seite, und jauchzender Euphorie auf der anderen Seite. Mein Herz schlug schnell, und mir stockte der Atem vor Aufregung. Ich krallte mich an alles greifbare, aus Angst ich könnte hinunter fallen. Kurzzeitig schloss ich sogar die Augen. Doch schnell musste ich feststellen, dass meine Angst unbegründet war. Die Gurte an meinen Beinen und an meiner Hüfte hielten mich fest. Und entgegen Atillas Sitz, welcher wirklich einem Sattel zum Reiten ähnelte, hatte mein „Kindersitz“ neben einem breiten Griff zum festhalten, sogar eine kleine Lehne.

Wir gewannen schnell an Höhe, und mir blieb nicht viel Zeit Angst zu haben. Rasch hatten wir uns über die Baumwipfel erhoben, und flogen in atemberaubenden Tempo in südlicher Richtung davon. Der eisige Wind pfiff mir ins Gesicht, und ich war froh darüber, dass ich Mütze und Kaputze trug. Es war wie Achterbahn fahren, nur aufregender, dachte ich mir, und versuchte diesen einzigartigen Flug trotz der nervösen Anspannung so gut es ging zu genießen.

Der Alte Wald war riesig groß, und lag wie ein verschneiter Urwald vor uns. Als wir noch höher stiegen, sah ich den Wald ganz genau wie in meinem Traum von oben aus der Vogelperspektive. Er war riesig und erstreckte sich sehr weit ins Landesinnere. Zwischen den Wipfeln der Bäume entdeckte ich immer mal wieder Lichtungen, von denen Rauch aufstieg. Dort mussten also Menschen leben! Sofort bedauerte ich es nicht mehr Zeit im Alten Wald von Advenzia verbracht zu haben. Es dauerte nicht lange, da konnte ich am Horizont zwei Seen erkennen, und auch eine lange Linie, die wohl die ehemalige Handelsstraße nach Advenzia sein musste. Nahe einem Gebirge im Westen, aber immer noch sehr weit entfernt, konnte ich eine große Siedlung ausmachen. Das musste die Stadt ‚Goldendid sein, von der ich in den Büchern gelesen hatte. Als wir näher kamen, entdeckte ich im Osten hinter Tälern und Wäldern, eine weitere Siedlung, die jedoch deutlich näher schien. Das war mit Sicherheit Advenzia. Von hier oben sah alles so klein aus, wie Spielzeug, und die Wege wirkten so kurz und schnell erreichbar …

Nach einiger Zeit setzte das Chimori zum Landeanflug an. Wenig später kam es mit lautem Hufschlag auf einer Lichtung auf. Ich wurde kräftig durchgeschüttelt. Der alte Atilla lachte aus voller Kehle. Offenbar schien er das hier schon hunderte Male gemacht zu haben. Als wir zum Stillstand gekommen waren, löste der Reiter zunächst seine Beingurte, und schwang sich dann vom Sattel. Zärtlich streichelte er die Nüstern des Abraxaners, und half sodann mir abzusteigen. Nachdem ich meine Begeisterung über den Flug kund getan hatte, und wir die letzten organisatorischen Dinge geklärt hatten, war es Zeit Lebewohl zu sagen. Und bereits kurze Zeit später winkte ich den beiden, wie sie in den trüben Wolken dieses einzigartigen Tages verschwanden.

Denk dran, dass morgen Nacht die Raunächte beginnen“, hatte Atilla mir zum Abschied noch gesagt. „Die Grenze zwischen den Welten ist in dieser Zeit besonders dünn, und Botschaften aus den anderen Welten können in dieser Zeit besonders klar von uns empfangen werden. Also gib Acht auf deine Träume …“

Fliegenden Fußes legte ich meinen Weg durch die angrenzenden Forste zurück, und rastete nur einmal für ein paar Minuten, um etwas von dem Proviant zu verzehren, den die Familie mir mitgegeben hatte. Erstaunlicher Weise schien der Flug auf Febarak auch mich beflügelt zu haben, denn ich legte den Weg in erstaunlichem Tempo zurück. Selbst, als die Dunkelheit bereits eingebrochen war, hielt mich dies nicht auf. Zielsicher wanderte ich noch einige Stunden entlang der mondbeschienenen Wege, bis ich schlussendlich an das große Stadttor von Advenzia kam. Lustigerweise waren die diensthabenden Nachtwächter die selben, mit welchem ich am Beginn meiner Reise gesprochen hatte. Und so verzögerte sich mein Heimweg noch etwas, da sie mich in ihre Stube einluden, und mich baten ihnen alles zu erzählen, was mir widerfahren sei. Natürlich erzählte ich ihnen nicht alles, aber dennoch einen Teil, und sie waren sehr erstaunt über meine Schilderungen, und wollten mich am liebsten gar nicht mehr gehen lassen. So erreichte ich erst gegen Mitternacht meine Herberge, und war sehr froh darüber, dass die Rezeption aufgrund einiger spät anreisender Weihnachtsgäste noch besetzt war. Als ich mein Zimmer betrat, fühlte ich mich auf eine seltsame Art und Weise zuhause. Nun endlich sickerte die Müdigkeit durch, und ich begann zu gähnen. Doch bevor ich ins Bett verschwand, gab es noch eine wichtige Sache zu erledigen.

Kurz darauf lag ich auch schon in der Wanne und gönnte mir zur nächtlichen Stunde ein heißes Bad. Wie hatte ich das vermisst! Nun hatte ich es doch geschafft rechtzeitig zur Weihnacht zurück zu sein. Eine Tatsache, die mich an diesem Abend überaus fröhlich stimmte.

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