13. Dezember – Die Höhle (Advenzia)

13. Dezember

Die Höhle“

Als ich erwachte, lag ich auf hartem Boden. Um mich herum war es noch immer dunkel und kalt. Ich fror, und zitterte am ganzen Leib. Es dauerte ein paar Augenblicke bis ich begriff, dass ich nicht mehr in meinen wärmenden Schlafsäcken lag. Da bekam ich es mit der Angst zu tun. Was war nur geschehen?

Während ich nach und nach immer mehr zu mir kam, wurde ich mir des widerlichen Gestanks bewusst, welcher die Luft erfüllte. Angeekelt verzog ich das Gesicht. Als ich mir daraufhin mit den Händen die Nase zuhalten wollte, musste ich erschrocken feststellen, dass ich an den Handgelenken gefesselt war. Auch meine Füße waren offenbar zusammen gebunden, sodass es mir zunächst nicht gelang mich aufzurichten. Ich spürte Panik in mir aufsteigen und begann hektischer zu atmen. Unruhig zerrte ich an den Fesseln, doch diese hielten. In diesem Moment wurde die Angst unerträglich. Mein Glück war, dass ich nicht sofort panisch anfing zu schreien oder um Hilfe zu rufen, denn bereits im nächsten Moment hielt ich apprupt inne.

In einiger Entfernung hörte ich plötzlich ein tiefes dumpfes Grunzen, gefolgt von einem durchdringenden Brummen, und erschrak erneut. Das müssen Bären sein, ging es mir als erstes durch den Kopf. Doch kurz darauf vernahm ich weitere kehlige Laute und einige Wortfetzen, und das machte mir noch mehr Angst. Da schien jemand zu reden. Ich drehte meinen Kopf sachte in die Richtung, aus welcher ich das Geräusch vermutete. Der Untergrund war zwar kalt, aber weich – und er knisterte, als ich mich darauf bewegte. Dies ließ mich zu der Annahme kommen, dass ich auf Stroh gebettet worden war. Die nächste Erkenntnis traf mich wie ein Hammerschlag: Ich befand mich nicht mehr auf der Lichtung in meinem Schlaflager unter freiem Himmel – sondern in einem geschlossenen Raum! Über mir waren keine Sterne mehr und kein Mond. Erst jetzt, da sich meine Augen an die neue Umgebung zu gewöhnen schienen, erkannte ich, dass diese nicht wie zunächst vermutet hinter Wolken verborgen lagen. In ein paar Metern Entfernung erkannte ich einige schemenhafte Schatten und Umrisse. Anscheinend befand ich mich in so einer Art … Höhle! Einige Figuren schienen sich in einem Nebenraum um eine Feuerstelle zu bewegen, und miteinander zu kommunizieren. Der Lautstärke ihrer Stimmen zu urteilen, schien dieser Nebenraum jedoch nicht unmittelbar nebenan, sondern etwas weiter entfernt zu sein. Plötzlich war ich hellwach, und die Furcht wich einer nüchternen Klarheit. Ich war in ernsthafter Gefahr!

Also versuchte ich mich zu konzentrieren, atmete langsam aus, und dann noch einmal tief durch. Ich bereute es augenblicklich. Noch immer stank es so bestialisch nach einer Mischung aus Fäkalien und Aas, dass ich nur mit viel Mühe einen Würgereiz unterdrücken konnte. Als ich versuchte aufzustehen, durchfuhr mich ein scharfer Schmerz, und eine dröhnende Benommenheit gesellte sich zu dem unaufhörlichen Zittern meiner Glieder. Da fiel es mir wieder ein: Ich musste einen ziemlichen Schlag auf den Kopf bekommen haben. Meine Hände wanderten langsam zum Zentrum des Schmerzes und ich ertastete eine dicke Schwellung seitlich über meinem linken Ohr. Das gefiel mir ganz und gar nicht. Benommen ließ ich meinen schmerzenden Kopf wieder zu Boden sinken. Trotz der Kälte fiel es mir schwer die Augen aufzuhalten. Was sollte ich bloß tun? Unwillkürlich schickte ich ein Stoßgebet zum Himmel und bat, dass mich doch bitte jemand hier heraus holen möge. Dann schob ich meine Hände an den Mund und atmete warme Luft hinein.

Kurz darauf verebbte das Stimmengewirr auf der anderen Seite, und auch das Licht wurde weniger. Als ich meine Augen das Nächste mal aufschlug, war es in der Höhle so dunkel, dass ich kaum noch etwas sehen konnte. Also schloß ich sie wieder.

Hallo …?“, ertönte plötzlich ein Flüstern aus der Stille der Höhle. Ich zuckte unwillkürlich zusammen, erschrocken bis ins Mark.

Hallo!“, ertönte es wieder im Flüsterton. Diesmal energischer. „Sie da!“

Ich versuchte etwas zu erwidern, doch stattdessen entfuhr mir nur ein heiseres Husten.

Leise … !!“, ermahnte mich die Flüsterstimme. „Die sollen uns nicht hören.“

Dann herrschte wieder Stille. Wer sollte uns nicht hören? Angestrengt lauschte ich in die Dunkelheit hinein. Und tatsächlich. Schwach, ganz schwach und gedämpft konnte ich leise Geräusche hören. Es klang, als ob jemand schnarchte. Noch immer zitterte ich vor Kälte. Dann meldete sich das Flüstern wieder.

Ich bin hier um Ihnen zu helfen.“

Mit enormer Selbstbeherrschung gelang es mir mich mehrmals kaum hörbar zu räuspern. Dann krächzte ich der leise Stimme ein paar Fragewörter entgegen, bevor ein Husten mich zum Schweigen zwang. Doch es schien, als hätte die Stimme mich verstanden.

Trolle“, tönte es kaum hörbar zu mir hinüber. „Die haben auch all ihre Habseligkeiten.“

Im Dunkeln blickte ich mich suchend um, in der Hoffnung meinen Rucksack oder etwas anderes nützliches irgendwo zu erblicken. Doch es war einfach zu finster.

Hören Sie, ich bin hier um Ihnen hier heraus zu helfen.“, flüstert die Stimme jetzt etwas energischer, „Aber Sie müssen mir dabei helfen.“

Es war eine überaus skurrile Situation. Für einen Augenblick fragte ich mich, ob ich träumte. Doch die Stimme wusste mein Zögern zu deuten.

Haben Sie denn eine andere Wahl?“

Nein, wohl kaum. Nicht wissend in welche Richtung ich meine Worte richten sollte, presste ich ein kaum hörbares ‚Wie?‘ hervor. Und die Flüsterstimme antwortete.

Was danach passierte erschien mir rückblickend wie im Traum. Mit einem Mal waren meine Hände und Füße nicht mehr gefesselt. Von der Stimme ermutigt ertastete ich vor mir auf dem Boden ein Gefäß mit Flüssigkeit und führte es vorsichtig  zum Mund. Es schmeckte nach sauberem Wasser, kalt wie Eis. In hastigen Schlucken trank ich es leer wodurch es mir gelang den Hustenreiz zu stillen. Doch noch immer schmerzten meine Glieder vor Kälte, und der Schmerz in meinem Kopf, welcher von oberhalb der rlinken Schläfe ausstrahlte, brachte mich zeitweise um jeden klaren Gedanken. Es war ein Albtraum. Als ich wieder halbwegs bei Sinnen war, verkündete mir die Stimme ihren weiteren Plan. Zustimmend brummte ich in die Dunkelheit, und anscheinend wurde ich verstanden.

Wenige Augenblicke später schien sich im Nachbarraum etwas zu regen. Dann hörte ich von draußen ein wildes Getöse, und schrak erneut bis ins Mark zusammen. Es klang, als ob nebenan eine Horde wilder Hyänen, oder wütender Affen aufgeschreckt worden wäre. Starr vor Schreck getraute ich mich erst gar nicht mich zu bewegen. Nur meine Augen suchten panisch nach einem Gegenstand, welchen ich zur Verteidigung heranziehen könnte – doch es war noch immer zu dunkel. Die Gestalten im Vorraum erhoben ihre geifernden Stimmen in wilder Raserei und erfüllten die gesamte Räumlichkeit, welche sich mir nun zweifelsohne als Höhle offenbarte, mit schrecklichem, kakophonischen Gekreische, sodass ich mir voller Furcht die Hände auf die Ohren presste. Doch der Spuk währte nicht lange. Bereits wenige Augenblicke später schien das Getöse leiser zu werden. Offenbar hatten die Gestalten die Höhle verlassen.

Dies war der Moment auf den ich gewartet hatte! Als die Schrecksekunde vorbei war, und die Schreie nur noch leise Echos in der Ferne zu seien schienen, tastete ich mich auf allen Vieren aus dem Raum hinaus. Dabei stieß ich mehrmals schmerzhaft mit den Armen gegen schroffen Fels. Doch es gelang mir, mich, dem schwachen Lichtschein folgend, in den angrenzenden Raum vor zu arbeiten. Im Nachbarraum stank es noch schlimmer als vorher und ich verzog mein Gesicht zu einer ekelerregten Fratze. Hier glimmte auch noch ein kleines Feuer, sodass der Raum schwach erhellt wurde. Dies half mir den angrenzenden Gang nach draußen ausfindig zu machen. Auf dem Weg zu Ausgang stolperte ich und stürzte schmerzhaft, rappelte mich jedoch gleich wieder auf, entlang zum Ausgang der Höhle. Jetzt oder nie, dachte ich mir. Die Furcht vor der Rückkehr meiner Peiniger trieb mich weiter vorwärts.

Wie in Trance taumelte ich nun durch die feucht-kalte Dunkelheit. Immer der Nase nach und stetig bergauf erreichte ich rasch den Ausgang der modrigen Höhle. Ein schneidend kalter Wind wehte mir ins Gesicht. Trotzdem es Nacht war, schien es hier draußen bedeutend heller zu sein, als noch zuvor in den Tiefen der Erde. Der Mond und die Sterne leuchteten erhaben, und in weiter Ferne schien es bereits zu dämmern. In Blinder Panik floh ich in die entgegengesetzte Richtung aus der die trollischen Schreie zu kommen schienen. Durch das Laufen wurde mir wärmer, doch noch immer zitterte ich am ganzen Körper. Irgendwann musste ich kurz stehen bleiben, um zu verschnaufen, denn ich war völlig außer Atem. Ich sank erschöpft zusammen, und lehnte mich im Schnee an einen Baum. Mein Schädel dröhnte, meine Glieder krampften schmerzhaft, und über meiner rechten Schläfe ertastete ich eine klaffende Wunde. Schützend zog ich mir meine klamme Kapuze über den Kopf, und legte mir meine eiskalten Hände aufs Gesicht. Ich war mir nicht sicher, wie lange ich das alles noch durchhalten konnte …

In diesem Moment kehrte die Stimme aus der Dunkelheit zurück. Diesmal klang sie lauter, und höher als noch eben in der Höhle, fast schon etwas piepsig. Und sie schien aus Bodennähe zu kommen.

Keine Zeit sich auszuruhen“, rief sie, und erneut erschrak ich bis ins Innerste, dass es mir in der Brust schmerzte. „Schnell, folgen sie mir – wir sind noch nicht außer Gefahr!

Also riss ich mich zusammen, und taumelte weiter durch die Nacht. Die Stimme ermahnte mich noch mehrmals zur Vorsicht. Irgendwann ein stechender Schmerz in meinem Bein, und als ich nach unten sah, entdeckte ich, dass ich in einen eisigen Bach getreten war. Humpelnd, halb erfroren und völlig desorientiert stapfte ich durch einen verschneiten Wald. Mit dröhnendem Kopf und klappernden Gliedern legte ich so einen schier endlos langen Weg zurück, behände getrieben von der Stimme auf dem Boden vor mir. Ich blickte mich um, doch entdeckte nichts. Zwischenzeitlich zweifelte ich an meinem Verstand, ob ich nicht einfach verrückt geworden sei und die Stimme einfach nur in meinem Kopf existierte …

Dann wurde es heller. Bald muss die Sonne aufgehen. Doch plötzlich wurden auch die schrillen Schreie der Trolle in einiger Entfernung wieder lauter.

Schnell jetzt“, trieb mich die Stimme an, jetzt lauter als zuvor. Wir haben es fast geschafft! Aber sie dürfen uns nicht einholen“.

Ich biss die Zähne zusammen. Aus Angst, dass unsere Verfolger uns erreichen würden, verfiel ich trotz starker Schmerzen in einen schnellen Laufschritt. Mein Atem ging schwer, als die wahnsinnigen Schreie immer näher zu kommen schienen. Als ich mich im Laufen einmal rasch nach hinten blickte, sah ich aus dem Augenwinkel, wie in einiger Entfernung schemenhaft Wesen durch die Bäume huschen. Danach wagte ich es nicht mehr mich umzudrehen.

Der Morgen brach an. Die Geräuschkulisse hinter mir war nun zum greifen nah, und trieb meine Leistungen bis aufs Äußerste. Meine Nerven waren gespannt wie Stahlseile, jeder Schritt schmerzte. Doch ich konnte nicht anhalten – jetzt oder nie, alles stand auf dem Spiel. Plötzlich überkam mich die furchtbare Gewissheit, dass meine Verfolger mich jeden Moment von hinten packen könnten, um mich zu Boden zu reißen! In blinder Panik stürzte ich zwischen den Bäumen hindurch.

Als ich aus dem Unterholz auf eine Lichtung durchbrach, blieb ich mit dem Fuß an einer Wurzel hängen, und stürzte schmerzhaft in den Schnee. Ein gedämpftes Donnern, als ich auf dem Waldboden aufschlug. Die erschreckende Gewissheit schlug ein wie ein Donnerschlag: Jetzt haben sie mich! Schützend hielt ich meine Arme über den Kopf und kauerte mich zusammen. Die Schreie kamen jetzt schnell näher. Gleich würden sie hier sein …

Doch mit einem Mal, wie aus heiterem Himmel, hörte der Lärm auf, die Schreie verstummten, und die Geräusche ebbten ab. Innerhalb weniger Augenblicke war es völlig still im Wald. Vorsichtig schaute ich zwischen meinen Armen hervor. Die Sonne war mittlerweile aufgegangen und warf ihre ersten orange-roten Strahlen zwischen den Bäumen hindurch.

Gott sei dank!“, hörte ich die Stimme meines Befreiers in kurzer Entfernung rufen, gefolgt von einem erleichterten Seufzer. „Das war knapp …!“

Das nächste woran ich mich erinnern konnte, war, dass ich an einen Baum gelehnt auf ein kleines Lagerfeuer blickte. Es war nun hell, und die Sonne schien. Hinter dem Feuer erstreckte sich ein kleiner Teich, eine Art Bassin an einem Bachlauf. An mir herab schauend bemerkte ich, dass ich in wärmende Decken und Felle gehüllt war. Mir tat zwar alles weh, doch langsam spürte ich wie die Wärme in meinen Körper zurück kehrte.

Schlafen Sie jetzt“ hörte ich die vertraute, piepsige Stimme noch einmal zu mir sagen. Erst wollte ich widersprechen, doch sogleich spürte ich, dass ich dazu zu schwach war. Dann folgte ich ihrer Aufforderung, und schloss die Augen.

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