Eine aufregende Reise durch den Advent
„Endstation, alles aussteigen!“, hörte ich eine Stimme rufen. Es dauerte einen Moment, bis ich mich wieder orientieren konnte. Verschlafen streckte ich mich und strich mir anschließend mit beiden Händen über das müde Gesicht. Dann rieb ich meine müden Augen, gähnte einmal herzhaft, und blickte mich im Abteil um. Alle anderen Mitfahrenden waren bereits verschwunden. Mehrmals musste ich blinzeln, da mir das Tageslicht nach der Dunkelheit meines Mittagsschlafs gleißend hell erschien. Nach einigen Sekunden hatte ich mich jedoch bereits an die Helligkeit gewöhnt.
Draußen war es bewölkt, und es herrschte Schneegestöber. Ich erkannte einen ordentlichen Bahnsteig, auf welchem allerhand dick gekleidete Gestalten entlang huschten. In der Hand oder auf dem Rücken trugen sie Gepäckstücke, Koffer oder Rollwägen, und die meisten von ihnen schienen es recht eilig zu haben. Ein paar wenige saßen auf Bänken, lasen Zeitung oder führten Gespräche.
Nachdem ich meine Schuhe, meine Mütze und meine wärmende Jacke angezogen hatte, lud ich meinen Rucksack und die große Reisetasche behutsam von der Gepäckablage, und trat anschließend hinaus auf den Gang des Zuges. Schon pfiff mir durch ein offenes Fenster der eisige, schneidende Dezemberwind über Wangen und
Nase, was mich jäh dazu veranlasste, meinen Kragen noch etwas höher zu ziehen. Als ich vom Zug hinaus auf den Bahnsteig trat, wirbelten dicke, weiße Flocken um mich herum wie in einer Schneekugel. Dieser Moment der Ankunft hatte etwas magisches, und so stellte ich meine Tasche ab, und hielt einen Augenblick inne, um die Eindrücke in mich aufnehmen zu können. Diese klare, kalte Luft. Das Rauschen des Windes. Das Stimmengewirr um mich herum. Die Kälte, welche meine Wangen zum Erröten brachte. Das Gefühl der Vorfreude und die bange Ungewissheit beim Beginn einer neuen Reise. Ein angenehmes Schaudern lief mir über den Rücken, und ich atmete einmal tief durch. Dann nahm ich meine Tasche wieder auf, und schritt den Bahnsteig entlang. Als ich im sich lichtenden Menschengestöber schließlich eine große, hölzerne Tafel entdeckte, blieb ich davor stehen und laß. Darauf prangte in großen, golden schimmernden Lettern der Name des Bahnhofes, auf welchem ich mich befand:
ADVENZIA
Nachdem ich mich vergeblich einige Minuten lang nach einem Taxi, oder einer ähnlichen Transportmöglichkeit umgesehen hatte, erfuhr ich von der Dame am Fahrkartenschalter, dass im Moment – wie so oft zu dieser Jahreszeit – ob des Schneeaufkommens nur Pferdeschlitten als zuverlässige Transportverbindung verkehren würden. Offenbar sah man mir meine Verblüffung an, denn die Frau bedeutete mir, dass an diesem Ort so manches anders sei, als ich es vielleicht von zuhause gewöhnt sei. Auf meine Nachfrage, was es damit genau auf sich habe, erwiderte sie mir nur ein vielsagendes, fast schon geheimnisvolles Lächeln, und reichte mir eine kleine Karte der Innenstadt. Wie sich heraus stellte, befand sich meine Herberge nur etwa zwanzig Minuten Fußweg vom Bahnhof entfernt, doch da sich dem Schneegestöber nun ein zunehmend scharfer Wind zugesellte, entschied ich mich meinen Stadtbummel auf einen anderen Zeitpunkt zu verschieben, und willigte kurzer Hand ein nun doch mit der Kutsche zu fahren.
Während der Fahrt, als ich auf der gepolsterten Rückbank jenes nostalgischen Gefährts saß und die vorbeifahrenden Fachwerkhäuser bestaunte, wurde mir klar, warum dieser Ort in allen Reiseführern als Geheimtipp angepriesen wurde. Hier schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Neugierig sah ich mich um, und war froh über meine Entscheidung nicht zu Fuß gegangen zu sein. Vor uns türmte der Wind immer neue Schneemengen auf, und das Pferd hatte zeitweise seine Mühe sich durch die Straßen zu bewegen.
Langsam aber stetig bahnte sich der Schlitten seinen Weg über die großen Hauptstraßen und durch die kleinen, verwinkelten Gassen des altertümlichen Städtchens. Es ruckelte und rumpelte. Bald schon ließ das Schneegestöber etwas nach, und ich erkannte um mich herum ein geschäftiges Treiben. Auch hier waren Menschen in dicken Wintermänteln und mit warmen Mützen auf dem Kopf, welche auf dem Bürgersteig herum wuselten. Manche sprachen miteinander oder riefen sich etwas zu. In der Ferne erkannte ich einen Marktplatz. Die mittelalterlich anmutenden Behausungen strahlten ihren ganz eigen Charme aus. Dann bog die Kutsche unvermittelt nach links in eine etwas ruhigere Seitenstraße ein, verlangsamte kurz darauf spürbar ihr Tempo, und hielt mit einem sachten Ruck vor einem großen alten Steinhaus. Der Fahrer drehte sich zu mir um und rief mit heiserer Stimme:
„Alles aussteigen, wir sind da! Der steinerne Krug.“
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